KAZIMIERZ BĄCZKIEWICZ
Schicksale der Vertriebenen
Der Autor wurde im Jahre 1922 in Ciążeń, in Großpolen geboren. Am 13. Mai 1941 siedelten die deutschen Besatzungsbehörden einige Dutzend polnische Familien aus dem Dorf Ciążeń aus. Die verlassenen Häuser und Bauernhöfe waren von da an für deutsche Siedler bestimmt. Unter den Vertriebenen waren Kazimierz Bączkiewicz und seine Eltern. Nach einer Vorselektion in Koło wurden die Bączkiewiczs zuerst in ein Durchgangslager nach Łódź gebracht, und dann zur Zwangsarbeit auf ein Landgut im Ort Wollstein (Hessen) verschleppt. Der Autor dieses Berichts arbeitete anfangs bei der Tierzucht und beim Fällen von Bäumen. Nach der Befreiung durch die amerikanische Armee im April 1945 kehrte er nach einem halbjährigen Aufenthalt in Kassel mit seinen Eltern nach Hause zurück.

Am 13. Mai 1941, noch vor der Morgendämmerung, kündigten Gewehrkolbenschläge an der Eingangstür eines Dorfhauses und die Rufe „Aufmachen!“ den Anfang meines Schicksals als Vertriebener an. Ich war damals 19 Jahre alt. Vor Ausbruch des Krieges hatte ich die allgemeine Grundschule in Ciążeń und die erste Klasse am privaten koedukativen Handelsgymnasium in Słupca absolviert. Ich rechnete mit der Möglichkeit, zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert zu werden, obwohl ich schon, sowohl 1940 als auch im Frühjahr 1941, mit einigen Dutzend Leuten unter Zwang und ohne Entgelt als Scharwerker beim Abtragen eines Hügels auf dem Weg zwischen Ciążeń und Ląd bei Policko gearbeitet hatte. Damals war das noch ein Feldweg, den man für die Befestigung vorbereitete.

Ich wohnte mit meinen Eltern in Ciążeń und da der Frühling in diesem Jahr besonders spät und kalt war, schlief ich in unserem Haus. Den ganzen vorigen Sommer lang hatte ich, genauso wie meine Altersgenossen, in der Scheune geschlafen, um im Falle einer Razzia in die Felder flüchten zu können. Als mein Vater in jener unvergessenen Nacht die Tür öffnete, sah er zwei deutsche Gendarmen, die ihm in gebrochenem Polnisch mitteilten, dass wir alle ausgesiedelt würden und innerhalb einer halben Stunde zum Fortgehen bereit zu sein hätten. Die Gendarmen waren zum Militärdienst einberufene Deutsche, die vor dem Krieg in verschiedenen Orten des Landkreises Konin gewohnt hatten. Beide konnten zwar Polnisch, gaben sich aber sehr wichtig. Wir konnten uns vor Aufregung kaum bereitmachen und wussten nicht, was wir anziehen oder was wir mitnehmen sollten. Wir wussten nicht einmal, was aus uns werden würde. Wir durften nur Handgepäck mitnehmen, also Wäsche und Ausweispapiere, deshalb fiel uns die Wahl sehr schwer, zumal wir so wenig Zeit zum Überlegen hatten. Nach Ablauf der angeordneten Zeit wurden wir von einem der Gendarmen zum Sammelpunkt geleitet, während der andere zurückblieb, um den verlassenen Besitz zu bewachen. Dieser Augenblick, als wir unser Zuhause und unseren Bauernhof verlassen mussten, war für uns alle ein äußerst schmerzhaftes Erlebnis. Aber niemand weinte. Meine Eltern hatten damals einen landwirtschaftlichen Betrieb von 5, 6 Hektar Fläche mit Inventar, zwei Kühen sowie gut ausgerüsteten Werkstätten – mein Vater betrieb nämlich eine eingetragene Schmiede und meine Mutter war Schneiderin. Unser ganzer Besitz wurde uns einfach weggenommen, ohne dass dies durch irgendein Schriftstück bescheinigt wurde. Noch am Tag unserer Aussiedlung übernahm ihn eine aus Estland dorthin umgesiedelte deutsche Familie. Am selben Tag siedelten die deutschen Besatzungsbehörden noch 48 weitere polnische Familien aus Ciążeń aus, hauptsächlich Bauern. Die Ausgesiedelten wurden mit Bussen aus Ciążeń nach Koło transportiert und dort im verfallenen Gebäude einer jüdischen Synagoge untergebracht. Dort teilten, nachdem sie alle begutachtet hatten, zwei deutsche Beamte die Familien in drei Gruppen auf. Die zahlreichste Gruppe war dazu bestimmt, von Koło direkt nach Sachsen zu Zwangsarbeiten im Ackerbau zu fahren. Eine kleinere Gruppe, in der meine Eltern und ich uns befanden, wurde ins Durchgangslager nach Łódź geschickt. In die dritte Gruppe kamen dagegen die Personen, die unfähig waren, körperlich zu arbeiten. Sie wurden bei polnischen Familien einquartiert, die in der Umgebung von Rzgów wohnten.

Nach Łódź wurden wir, begleitet von einem uniformierten Beamten, mit einem Zug gebracht. Im Lager wurden wir verschiedenen Hygienemaßnahmen unterzogen, unter anderem wurden unsere Kleider mit Dampf behandelt. Sämtliches Gepäck wurde uns zur Kontrolle weggenommen, alle Nahrungsmittel und scharfe Gegenstände beschlagnahmt. Danach wurden wir identifiziert und „anthropologisch“ geprüft (wir waren völlig nackt), unsere Fingerabdrücke wurden genommen und Ausweisfotos gemacht (man hatte uns Schilder mit Kennnummern umgehängt). Tagsüber mussten wir im Garten, der zum Lager gehörte, körperliche Arbeiten verrichten.

Das gesamte Personal des Lagers von Łódź, mit Ausnahme von denen, die das Essen ausgaben, trug Uniformen mit SSAbzeichen. Genauso waren auch die Deutschen gekleidet, von denen die Vertriebenen von Koło nach Łódź und von Łódź aus ins Deutsche Reich eskortiert wurden. Sie behandelten uns herablassend. Einmal sah ich im Lager zwei höhere Beamte durch einen von Vertriebenen überfüllten Saal gehen, und da sagte einer zu dem anderen: „Leute, wie das Volk stinkt!“. Hochmut und Verachtung, die in seiner Äußerung zu spüren waren, trafen uns schwer und wir fühlten uns gedemütigt. Nach einer Woche Aufenthalt im Lager wurden acht Familien, meine Eltern und mich eingeschlossen, in einen Zug gesteckt und über Wrocław (Breslau) und Leipzig nach Deutschland verschleppt. Unterwegs wurden die Familien ihren jeweiligen deutschen Arbeitgebern übergeben.

Während der Fahrt ließ unser Bewacher keine anderen Reisenden den von uns besetzten Teil des Wagens betreten. In der Kreisstadt Witzenhausen übergab er meine Eltern und mich unserem zukünftigen Arbeitgeber, der uns in einem Pferdewagen zum Ort Wollstein brachte, welcher ungefähr 30 Kilometer von Witzenhausen entfernt war. Erst dann erfuhren wir etwas darüber, wie unser weiteres Schicksal aussehen sollte. Dort wurde uns zum ersten Mal, seitdem wir Łódź verlassen hatten (also nach 36 Stunden Reise), etwas zu Essen gegeben und dann ein Quartier zugeteilt. Es befand sich in einem alten, zweistöckigen Gebäude, das für Arbeiter bestimmt war. Wir bekamen ein ziemlich spärlich eingerichtetes Zimmer mit Küche im zweiten Stock, sowie je eine Decke zum Schlafen.