JAN SROKA
Bericht über die Zwangsarbeit im Dritten Reich
Der Autor dieses Berichts wurde 1927 in Brudzewice, in der Woiwodschaft Kielce, geboren. Im Jahre 1942 kam er als Zwangsarbeiter nach Reichhennersdorf (Przedwojów) in den Sudeten. Er hatte sich anstelle seiner Mutter zur Arbeit gemeldet. Im Juni 1944 wurde er verhaftet, da er im Besitz eines selbst gezeichneten Plans der Ortschaft, in der er arbeitete, war.

[…] Während einer Razzia am 24. Februar 1942 wurde meine damals vierundvierzig Jahre alte Mutter festgenommen und nach Opoczno verschleppt. Die gefangenen Personen wurden an verschiedenen Orten festgehalten, unter anderem in der Grundschule in der Tomaszewska Straße. Es wurden Protokolle verfasst und ältere Personen wurden gegen jüngere, gesündere und arbeitsfähige ausgetauscht. Sie sollten am 1. März 1942 mit dem Zug aus Opoczno abtransportiert werden. Mein Vater ging zur Deportationskommission und bat um die Entlassung seiner Ehefrau, da sie ihre kleinen Kinder betreuen musste. Die Antwort, die er erhielt, lautete: „Ihre Ehefrau lassen wir im Tausch gegen jemanden anderen, jüngeren gehen“. Der Abfahrtstermin rückte näher und die Situation in unserer Familie spitzte sich zu. Andere hatten ihre Kinder bereits gegen die Eltern ausgewechselt. Der Vater bedauerte jedes seiner Kinder, aber seine Frau bedauerte er noch mehr. Einen Tag vor dem Abtransport trommelte der Vater alle Kinder zusammen, um einen Familienrat abzuhalten. Er fing laut an zu weinen und sagte, er beklagte jedes seiner Kinder, doch einer von uns müsste anstelle der Mutter nach Deutschland fahren. Wir brachen alle in Tränen aus, so wie unser Vater. Am schwierigsten war es, eine Person zu bestimmen, die fahren sollte. Vater sagte: „Stasiek (20) ist unser ältester Sohn und ich brauche ihn für die Arbeit auf dem Hof. Józiek (17) hat gesundheitliche Probleme und kränkelt oft, es wird schwer für ihn, den Krieg als Zwangsarbeiter in Deutschland zu überstehen. Janek (15) ist etwas zu jung für Schwerstarbeiten und ich bin nicht allzu sicher, ob sie ihn im Tausch gegen die Mutter annehmen werden. Die anderen Kinder kommen überhaupt nicht in Betracht, da sie zu jung sind. Sagt ihr mir, was wir machen sollen. Sollen wir zulassen, dass eure Mutter und meine Ehefrau nach Deutschland fährt, während wir hier alleine bleiben? Äußert euch dazu“. Stasiek war froh, dass der Vater auf jemanden anderen als ihn selber deutete. Józiek sagte nichts. Dann war ich an der Reihe. Nach kurzer Überlegung erklärte ich, dass ich noch zu jung für solch schwere Arbeit sei, ich könnte wohl nur Hilfsarbeiten erledigen. Man müsse auch in Kauf nehmen, dass ich nicht mehr zurückkehren werde, denn es werde schwierig sein, dort den Krieg zu überleben. Aber wenn Papa meint, ich solle anstatt Mama fahren, dann mache ich das. In diesem Augenblick hatte ich Angst, aber gleichzeitig fühlte ich mich wie ein Held. Ich dachte mir, dass man mich in dieser Familie nicht braucht, dass sie mich loswerden wollen, aber andererseits werde ich somit zu Mamas Befreier und einem Helden. Der Gedanke überzeugte mich, dass meine Mission für meine Mutter von Nutzen sein würde. Darum sagte ich es noch einmal laut vor allen: „Ich habe mich dazu entschlossen, für Mama nach Deutschland zu fahren“. So fand sich eine Lösung für das schwierige und schmerzvolle Problem meiner Familie.

Am nächsten Tag mussten wir uns in aller Frühe auf den Weg machen, um es noch vor 10 Uhr vor die Deportationskommission in Opoczno zu schaffen. In der Nacht schlief ich kaum; es plagten mich verschiedene, dunkle Gedanken. Ich fühlte mich zur Heimatlosigkeit verdammt, es erwarteten mich ein bitteres Los und Unterdrückung durch unseren Feind.

Vater und ich fuhren früh am Morgen auf einem Pferdewagen los. Ich nahm Kleidung und etwas zu Essen mit. Der Vater gab mir auch eine Einviertelliter‐Flasche Wodka für schwere Momente. Der Abschied von meinem Geschwister war sehr zurückhaltend, denn wir alle waren erschrocken und verunsichert. Als ich während der Fahrt auf dem Wagen neben meinem Vater saß, betrachtete ich unterwegs alles sehr genau: Bäume, Menschen, Gebäude, als auch den Weg, den wir entlang fuhren, denn ich dachte, ich würde all dies zum letzten Mal sehen.

Das Gespräch mit meinem Vater war schwierig, denn er war voller Sorge. Er wiederholte oft: „Was sind das für Zeiten, in denen ich meinen eigenen Sohn zur [Zwangs]arbeit nach Deutschland schicken muss. Meine Frau haben sie mir genommen, was soll ich denn tun? Janek, sobald du ankommst, schreib uns, denn wir werden alle auf Nachrichten von Dir warten. Bald haben wir März, Frost gibt es wohl keinen mehr, es sollte immer besser werden, dann gewöhnst du dich auch schneller an das dortige Klima. Denke daran Janek, schreib so schnell wie möglich. Aber was wird aus uns, wenn sie dich nicht annehmen, vielleicht sagen sie ja du wärst zu jung, was passiert dann? Dann verschleppen sie meine Frau. Oh Gott, was für Zeiten sind das“. Unser Gespräch verlief stockend, aber worüber konnten wir schon sprechen, immerhin blickte ich meiner Hinrichtung entgegen. Ich halte das nicht aus, was mich erwartet, dachte ich mir. Wer weiß schon, wie viele Jahre ich wohl versklavt sein werde, nun ja, Hauptsache Mama wird freigelassen.

Wir kamen gegen 9.30 Uhr in Opoczno an. Der Vater führte mich der Deportationskommission vor und sagte, ich würde anstelle meiner Mutter zur Zwangsarbeit nach Deutschland fahren. Nach einer kurzen Besprechung wurde dem Austausch zugestimmt. Mama wurde hergeführt, während ich mich einer Gruppe von Menschen anschloss, die sich in einer großen Sporthalle befanden. Hier traf ich auch auf Bekannte aus meinem Dorf.

Deportation

Am selben Tag, gegen Mittag, mussten wir uns entsprechend vorher angefertigter Listen auf dem Schulsportplatz aufstellen. Danach wurden wir in einer Kolonne von bewaffneten deutschen Wachposten durch die Stadt zum Bahnhof begleitet, wo wir dann in Waggons verfrachtet wurden. Mir gelang es nicht mehr, mich von meinen Eltern ein zweites Mal zu verabschieden. Ich winkte ihnen nur von weitem. Als wir durch die Stadt gingen verabschiedete uns eine riesige Menschenmenge, wir aber fühlten uns, als ob wir auf dem Weg zu unserer Hinrichtung wären.

Die Waggons waren voll. In jedem passten bewaffnete Wachen auf, dass niemand weglief. Wir gelangten unter Geleitschutz über Tomaszów Mazowiecki, Koluszki und Piotrków Trybunalski (Petrikau) bis nach Częstochowa (Tschenstochau). Hier bildeten wir eine Kolonne wie für eine Parade und wurden dann durch die Stadt zu von der Polizei bewachten Baracken geführt. In den Baracken standen aus Holzbrettern gefertigte Stockbetten. Einmal täglich bekamen wir warme, mit Pferdefleisch aufgekochte Kohlrübensuppe. Nach zwei Tagen des Wartens wurde eine Liste mit den Namen derer vorgelesen, die sich einer ärztlichen Untersuchung unterziehen sollten. Wir wurden in einer Reihe aufgestellt und in eine andere Baracken geführt. Dort fanden dann die ärztliche Untersuchung, Desinfizierung und Insektenentfernung von Körper und Kleidung statt. Nach diesen Maßnahmen wurden wir wieder in andere Baracken geführt.

Früh am nächsten Tag wurden wir in Kolonnen eingeteilt und von bewaffneten Soldaten durch die Stadt zum Zug geführt. Oft hörten wir Schüsse, da auf fliehende Zwangsarbeiter geschossen wurde. Am Bahnhof stiegen wir in die Waggons eines langen Zugs. Von dort fuhren wir nach Breslau (Wrocław). In Breslau wurden wir auf dem Bahnsteig vor die Waggons gestellt, überprüft, gezählt und danach zu Baracken geführt, die denen in Częstochowa ähnelten. Hier erhielten wir eine Suppe aus Futterrüben. Es gab hier keine bewaffneten Soldaten mehr, ihren Platz hatten bewaffnete Ukrainer eingenommen.

Am nachfolgenden Tag wurden wir in Gruppen von je 50‐100 Personen eingeteilt und nach und nach zu Zügen geführt, die in verschiedene Regionen Deutschlands fuhren. Ich wurde nach Waldenburg (Wałbrzych) gebracht, dann wurde ich mit einer Gruppe von ungefähr 20 Personen nach Landeshut (Kamienna Góra) transportiert und von dort aus wurden wir mit einem PKW zu unseren jeweiligen Arbeitsstellen gefahren. Am 7. März 1942 traf ich um drei Uhr nachmittags mit zwei Freunden aus Opoczno in Reichhennersdorf, im Kreis Landeshut (Przedwojów, powiat Kamienna Góra) ein. Ich wurde dem Bauer Gustaw Alt zugewiesen. Meine Freunde sollten auch bei Bauern arbeiten.

Zwangsarbeit

Die Alts empfingen mich mit Gleichgültigkeit. Sie hatten wahrscheinlich jemanden größeren, stärkeren und zur Arbeit besser tauglichen erwartet. Ich wurde in ein kleines Zimmer mit einem nicht allzu großen Fenster gebracht. Im Zimmer befanden sich ein Bett, ein Tisch und in der Ecke ein eiserner Heizofen, den ich niemals benutzte. An der Wand hing ein Bildnis der Mutter Gottes. Ich packte meine Sachen aus, wusch mich und dann wurde ich in die Wohnung zur ersten Mahlzeit eingeladen. Dies war die einzige Mahlzeit, die ich je zusammen mit den Landwirten aß, alle anderen danach nahm ich später alleine in meinem Zimmer zu mir. Danach fragte mich Gustaw Alt etwas, doch ich verstand nicht was. Als nächstes zeigte er mir seinen Bauernhof, der aus einer Scheune, einem Kuhstall mit sechs Kühen und zwei Bullen, dazu zehn Schweinen, Hühnern und Gänsen bestand. Es wurde mir klar, dass es sich um einen mittelgroßen Bauernhof handelte (12‐15 Hektar), auf dem zwei ältere Personen arbeiteten. Der Bauer war schlank, hochgewachsen (ca. 180 cm) und über 70 Jahre alt. Die Bäuerin hingegen war dick, klein (ca. 155 cm groß), mit einem runden Gesicht, langer Nase und über 60 Jahre alt. Sie brauchten eine zusätzliche Hand für die Arbeit.

Als ich auf den Hof hinaustrat, sah ich, dass uns hohe Berge umgaben, deren Gipfel von Wäldern bewachsen waren, während die Abhänge schneebedeckt waren. Das Dorf befand sich in einem weiten Tal. Am Dorf entlang floss ein rauschender Gebirgsbach, ein Nebenfluss des Flusses Bóbr. Der durch das Dorf führende Weg war gewunden, es zweigten davon kleinere Wege ab, die zu verschiedenen Höfen führten. Dies war für mich eine seltsame und doch interessante Landschaft. Mir schien es, als ob man hier den Krieg in Sicherheit überstehen könnte.

Es wurde sofort mit der Arbeit begonnen. Mein Chef zeigte mir, wie ich verschiedene Arbeiten mit den Tieren und auf dem ganzen Bauernhof ausführen sollte. Ich stand um 6 Uhr morgens auf und ging um 10 Uhr abends schlafen. Die Arbeitsstunden waren nicht geregelt, im Sommer arbeitete ich von Sonnenauf‐ bis Sonnenuntergang.

Nach einigen Tagen erfuhr ich, wo und bei welchen Bauern meine Freunde aus Opoczno arbeiteten. Beide arbeiteten in der Nähe, in einer Entfernung von etwa 200 m. Zu Beginn fiel es mir schwer, mich mit meinen Landwirten zu verständigen, denn sie sagten etwas auf Deutsch und ich verstand nichts davon. Ich konnte die Bedeutung nur mittels ihrer Mimik und Gestik erraten. Nach und nach begann ich sie etwas besser zu verstehen und einige Wörter auszusprechen. Nach einigen Monaten verstand ich sie gut genug, um meine Arbeit machen zu können.

Anfangs wusste ich nicht, was erlaubt und was verboten war: Ob ich am Sonntag ein wenig Freizeit habe oder auch nicht, ob ich mich in meiner Freizeit mit Freunden treffen oder zur Kirche gehen darf oder nicht. Niemand hatte mir das gesagt. Ich verbrachte die ganze Zeit auf dem Hof und entfernte mich nicht. Erst später, als ich mit anderen Polen, die bereits dort arbeiteten, in Kontakt kam, erfuhr ich, welche Regeln für mich galten. Seit Beginn des Krieges arbeitete dort ein Pole namens Adam Ziętek, der sehr gut deutsch sprach. Er war es, der uns die genauen Anweisungen übersetzte. Auch einige andere Polen arbeiteten hier. Dank des Kontaktes mit ihnen fühlte ich mich besser, denn ich spürte, dass ich mich nicht allein in dieser schwierigen Lage befand.

Nach zwei Wochen nahm mich der Bauer zur drei Kilometer entfernten Kreisstadt Landeshut mit. Hier wurden Fotos von mir gemacht und irgendwelche Dokumente ausgestellt. Ich erhielt eines dieser Fotos und ein paar Exemplare des auf Material gedruckten Buchstaben „P“. Diese musste ich auf die rechte Seite meiner Kleidung aufnähen. Man zeigte mir meine Unterlagen, doch der Bauer nahm diese an sich.

Am meisten setzte mir die Sehnsucht nach meinem Dorf und Elternhaus zu. Ich wusste, dass meine Eltern um mich besorgt waren und mich vermissen, genauso wie ich sie vermisste. In meinem ersten Brief drückte ich mich milde über die Lage aus, denn ich wollte nicht, dass sie sich um mich sorgten. Danach wartete ich auf eine Antwort von zu Hause. Eines Tages, es war Abend, wurde ich in die Wohnung meiner Hausherren gebeten und man händigte mir einen Brief von meinen Eltern aus. Als ich den Brief sah, brach ich in Tränen aus, ich konnte ihn kaum lesen, denn die Tränen flossen so stark, dass die Schrift verschwamm und die Buchstaben ganz verwischt wurden. Nach einer längeren Pause schaffte ich es, den Brief zu lesen. Man fragte mich, was passiert sei, warum ich so weine, doch ich sagte, alles wäre in Ordnung – was sollte ich ihnen sonst schon sagen? Alle weiteren Briefe wurden mir erst nach dem Abendessen übergeben, bevor ich schlafen ging, und ich wurde nicht mehr gefragt, wie es meinen Eltern geht.

Das Heimweh machte mir mehr und mehr zu schaffen. Ich dachte darüber nach, wie ich mich von dort befreien könnte. Während eines Treffens mit Freunden, mit denen ich aus Polen hergekommen war, sprachen wir darüber, denn sie dachten auch darüber nach. Dann hatte ich endlich eine gute Idee: beim Holzhacken wollte ich mir einen Finger an der linken Hand abhacken, dann würde ich nicht mehr arbeitsfähig sein und sie würden mich nach Hause schicken müssen. Mehrere Tage vergingen, ohne dass ich die Gelegenheit bekam, Holz zu hacken. Währen eines Treffens mit Freunden verriet ich ihnen meinen Plan. Am nächsten Tag setzte einer meiner Freunde meinen Plan selber in die Tat um. Er wurde ins Krankenhaus gebracht, sein verletzter Finger wurde verbunden und er selbst wurde zurückgebracht, doch landete er bei einem anderen Bauern. Nach kurzer Zeit war der Finger verheilt und mein Freund arbeitete weiter wie zuvor.

Meine Eltern baten mich in Briefen darum, dass ich die Lage meines Dorfes beschreibe, denn sie konnten es sich nicht so recht vorstellen. In meiner Freizeit am Sonntag zeichnete ich mit einem Bleistift einen Plan und markierte die Bauernhöfe, auf denen Polen, Ukrainer und Russen arbeiteten. Ich wollte den Plan später zu Ende zeichnen, denn ich musste genauere Nachforschungen zu einigen Details anstellen. Solange legte ich den Plan unter die Tischdecke auf dem Tisch und vergaß ihn vollkommen. Dies würde unangenehme Folgen haben, von denen ich später noch erzählen werde.

Der Frühling 1942 war endlich da, aber erst Mitte April. Der Schnee war geschmolzen, Felder und Wiesen waren wieder zu sehen. Auf dem Bauernhof bereitete man sich für die Feldarbeiten vor. Die für diese Gegend üblichen Zugtiere waren Kühe und Ochsen. Mein Bauer benutzte zwei Ochsen als Zugtiere. Ich musste lernen die Tiere in den Wagen einzuspannen und mit ihnen auf dem Feld zu arbeiten. Sie waren stark, aber auch sehr langsam.

In der Nähe der Hofgebäude, auf der südlichen Seite, befand sich eine große Wiese, etwas weiter auf dem Berghang hatte der Landwirt ein großes Stück Ackerland. Hier verbrachte man von Frühling bis Spätherbst die meiste Arbeitszeit. Vom Berghang aus hatte man eine wunderschöne Aussicht auf Reichhennersdorf und teilweise auch auf die Stadt Landeshut.

An Werktagen um 9 Uhr eskortierten bewaffnete Soldaten ungefähr 200 Gefangene in Häftlingskleidung den Weg neben unserem Feld entlang zur Arbeit in Steinbrüchen (es handelte sich wahrscheinlich um Häftlinge eines der Arbeitskommandos des Konzentrationslagers Gross‐Rosen). Vom Erscheinungsbild her konnte man schlussfolgern, dass die Männer sehr ausgehungert sein mussten. Ihre Rückkehr erfolgte auf demselben Weg um 16 Uhr. Am Ende 63 der Kolonne halfen die Gefangenen immer jemandem, sich aufrecht zu halten und nicht umzukippen. Der Anblick war wahrhaftig bedrückend.

Die Arbeit auf dem Bauernhof war schwer, besonders weil man uns immer mehr abverlangte. Es wurde uns nicht einmal eine kurze Verschnaufpause während der großen körperlichen Anstrengung zugestanden. Man versuchte, alle Arbeiten auf dem Feld und dem Bauernhof bis Mitte November abzuschließen. Danach folgte der Winter mit starken Schneefällen und klirrendem Frost. Vom 15. November bis Ende März des nachfolgenden Jahres arbeitete ich im Wald. Dies war die schwerste Arbeit überhaupt, denn beim Fällen der Bäume fiel uns der Schnee auf die Köpfe, Kleider und Schuhe, alles war nass, es gab nichts zum Umziehen und es war unmöglich, die Sachen zu trocknen. Unsere Verpflegung war durchschnittlich, eher kalorienarm, es schmeckte mal besser, mal schlechter. Ich bekam etwas Taschengeld in Deutscher Mark als Lohn. Eigentlich war Geld hier nicht notwendig, da man sowieso nichts dafür kaufen konnte.

So verstrichen Tage und Monate, erst Sommer, dann Winter, dann wieder Sommer. Die Zeit verging langsam. Ich hatte fortlaufend Heimweh. Die Einschränkungen seitens der Landwirte wurden immer gravierender. Der deutsche Nachbar meiner Bauern sagte mir oft, dass ich aufpassen sollte, denn meine Bauern wären schlechte Menschen und Nazis.

Ich konnte seinen Worten nur schwerlich Glauben schenken, ich dachte mir nämlich, dass es sich einfach um schlechte Nachbarsbeziehungen handeln musste. Später begriff ich, dass das Verhalten meiner Hausherren mir gegenüber die Misserfolge an der Front widerspiegelte. Nach jeder größeren Niederlage verschärfte sich das Verhältnis der Deutschen zu den Ausländern dort. Ich bemerkte, dass mein kleines Zimmer oft durchsucht wurde – wonach sie suchten, war mir aber nicht klar. Meine Briefe von zu Hause erhielt ich schon geöffnet. Ich wurde von meinem Zimmer auf den Dachboden verlegt und schlief lediglich unter einer Wolldecke Es gab außerdem noch nächtliche Kontrollen, um zu überprüfen, ob ich tatsächlich dort war. Die Landwirtin schimpfte oft, dass Polen und Russen Schweine und Banditen wären. Nach einiger Zeit sagte sie dasselbe über mich, dass ich ein Schwein und Bandit sei, wie alle Polen. Die Qualität der Verpflegung wurde schlechter. Das Verhalten anderer Bauern gegenüber ihren ausländischen Arbeitern war viel nachsichtiger.

Trotz zunehmender Einschränkungen war es möglich, sich an Sonntagen mit Freunden zu treffen, in die Kirche oder spazieren zu gehen. Uns wurde aber nicht erlaubt, das Dorf zu verlassen oder Fahrrad zu fahren. Nach 20 Uhr mussten wir uns auf unserem Hof befinden. Über die Situation an der Front erfuhren wir von Deutschen, die ein gutes Verhältnis zu Polen hatten. Manche Deutschen missbilligten Hitlers Politik der Völkereroberung. Sie waren davon überzeugt, dass sie den Krieg verlieren werden.

Verhaftung des Feindes

Am 27. Juni 1944 um 7 Uhr morgens, als ich mich gerade um das Stallvieh kümmerte, erschien ein Polizist. Er rief mich zu sich, zog meinen im Frühling 1942 gezeichneten Plan von Reichhennersdorf aus seiner Tasche und fragte, was dies sei und ob ich das gezeichnet hätte. Ich antwortete ihm, dass ich den Plan gezeichnet hatte und dass er das hiesige Dorf darstelle. Er fragte mich noch über verschiedene Details auf dem Plan aus und dessen Zweck. Ich antwortete ihm, dass ich die Skizze meinen Eltern schicken wollte, damit sie wissen, wie das hiesige Dorf gelegen ist und wo meine polnischen Freunde arbeiten. Auf die Frage „Warum hast du das nicht deinen Eltern geschickt?“ erwiderte ich: „Weil ich es vergessen habe“. Zum Schluss stellte der Polizist fest: „Du bist verhaftet“.

Er führte mich in die Räumlichkeiten des Gemeindeamts, schloss mich in einem kleinen Zimmer ein und ging weg. Um etwa 10 Uhr begann mein Verhör. Ich wurde von einem in Schlesien geborenen Deutschen mit dem Namen Świątek verhört, der als Sekretär im Gemeindeamt arbeitete. Sein Polnisch war hervorragend, trotzdem sprach er deutsch mit mir. Danach hörte ich durch die Wand die Aussagen meiner Landwirte. Nach 14 Uhr wurde ich zur Polizeiwache in Landeshut transportiert. Dort wurde ich wieder auf Deutsch verhört, später wurde ich eingesperrt. Ich saß alleine in meiner Zelle, in Einzelhaft. Zum Frühstück bekam ich ein Stück Brot mit Margarine und dazu etwas ungesüßten Malzkaffee. Zum Abendessen gab es dasselbe. Zu Mittag erhielt ich einen halben Liter wässrige Futterrübensuppe. In Haft zusammen mit mir befanden sich etwa 30 Personen, darunter Russen, Tschechen und Deutsche. Von 9 bis 12 Uhr und von 14 bis 17 Uhr hackten wir Holz auf dem Gefängnishof. Wir durften weder miteinander sprechen, noch lachen, oder singen usw. Nach zwei Wochen erkannte ich mich kaum im Spiegel wieder, so blass und abgemagert war ich.

Am 30. August 1944 um 10 Uhr morgens kam ein Deutscher in Zivilkleidung zu mir und sagte auf Polnisch: „Janek lass die Axt liegen und komm mit mir mit.“ Das tat ich. Er brachte mich zur Polizeiwache, wo mir irgendein Schreiben auf Deutsch vorgelesen wurde, welches ich dann unterschreiben sollte. Aus dem Schreiben ging hervor, dass ich frei sei und zu meinem Bauern, Gustaw Alt, zurückkehren solle. Man fragte mich, ob ein Polizist mich dorthin begleiten solle, oder ob ich alleine hingehen würde. Ich sagte, ich würde alleine zurückgehen.

Als ich durch Landeshut ging, bemerkte ich, dass mir derselbe Mann, der mich aus dem Gefängnis abgeholt hatte, folgte. Wahrscheinlich beschattete er mich, um zu prüfen, ob ich in die korrekte Richtung ging. Die ganze Zeit dachte ich darüber nach, was ich jetzt machen sollte: zu meinem Bauern Gustaw Alt zurückkehren oder zum Gemeindevorsteher gehen und diesen um den Wechsel meiner Arbeitsstelle bitten. Mein Instinkt sagte mir „Geh nicht zurück, denn sie werden dir nur noch größeres Leid zufügen“. Sie waren schlechte Menschen, so wie ihr Nachbar es mir gesagt hatte. Deshalb ging ich zum Gemeindevorsteher Emil Klos und bat um einen anderen Landwirt. Nachdem er mich angehört hatte, dachte Klos eine Weile nach und telefonierte dann mit jemandem. Dann sagte er: „Die Sache ist schwierig, aber es könnte klappen, wenn du dich entscheidest, bei mir zu arbeiten. Wir sind Hitler‐Befürworter, für ihn leben und arbeiten wir. Bei uns gibt es viel Arbeit, wenn du willst, kannst du bleiben“. Und so blieb ich.

Arbeit bei dem Bauern Emil Klos

Der Gemeindevorsteher zeigte mir, wo auf dem Dachboden ich schlafen werde. Er führte mich auf seinem Hof herum. Der Bauernhof war ziemlich groß, zwischen 20‐25 Hektar, inklusive Wiese. Danach führte er mich zum Stall, wo zwei Rappen standen. Dann sagte er: „Du wirst dich um sie kümmern und mit ihnen arbeiten“. Er zeigte mir, wie man die Pferde bürstet, füttert und einspannt. Jeden Morgen wies er mir Arbeiten zu. Ich fühlte mich hier selbstständiger, niemand begleitete mich mehr auf Schritt und Tritt und niemand kontrollierte, was ich machte, wie es bei dem Bauern Gustaw Alt der Fall gewesen war. Auf demselben Bauernhof arbeitete auch eine Ukrainerin mit dem Namen Marusia, ihren Nachnamen habe ich niemals erfahren. Sie beschäftigte sich vor allem mit den zwölf Kühen, half der Bäuerin im Haus und arbeitete bei Feldarbeiten mit. Marusia informierte mich umfassend über die Arbeit und die Gewohnheiten der Klos’.

Die Klos Eltern waren beide ungefähr 50 Jahre alt. Ihr ältester Sohn kämpfte an der Ostfront, die Jüngeren gingen noch zur Schule in Landeshut. Der Bauer Emil Klos – ein schlanker, mittelgroßer Mann – war ständig mit Angelegenheiten des Dorfes beschäftigt. Seine Frau war eine wohl proportionierte, hochgewachsene Frau mit heiterem Gemüt. Sie scherzte und lachte viel, obwohl die Deutschen bereits damals Niederlagen an allen Fronten einstecken mussten. Die Familie war um den ältesten Sohn besorgt, sie wären sicher ruhiger, wenn er im Westen kämpfen würde. Mir wurde gesagt, dass der Bauer Alt versuchte mich zurückzubekommen, da er niemand anderen hatte, der ihm half. Er soll sogar an das Arbeitsamt geschrieben haben. Ich erfuhr außerdem, dass meine Verhaftung und mein Gefängnisaufenthalt in die Zeit des Warschauer Aufstand gefallen waren.

So um den 20. September 1944 wurden 14 Frauen vom Warschauer Aufstand zur Arbeit hergebracht. Eine der Frauen wurde Gustaw Alt zugewiesen. Die Warschauerinnen wussten nicht, wie man auf einem Bauernhof arbeitet, deshalb ärgerten sich die Bauern über die Frauen. Diese kamen in Tränen aufgelöst zu meinem Bauern, um sich zu beschweren. In diesen Fällen war ich Übersetzer für sie. Anfangs war Emil Klos unterwegs und legte die Streits bei. Aber als die Konflikte länger dauerten, bat er alle Frauen, die etwas an ihren Bauern auszusetzen hatten, am Sonntag um 10 Uhr auf seinen Hof zu kommen. Er trat vor sie und sprach mit erhobener Stimme, während ich ins Polnische übersetzen sollte. Seine Rede kann man folgendermaßen zusammenfassen: „Wir haben jetzt Krieg, wir kämpfen gegeneinander. Menschen sterben sowohl auf unserer, als auch auf eurer Seite. Ihr seid unsere Sklaven und sollt machen, was wir euch befehlen. Falls ihr das nicht machen wollt, werdet ihr auch nichts zu essen bekommen. Wir schaffen euch Sklaven wohl zu gute Lebensbedingungen, ihr sollt uns gehorchen und arbeiten“. Danach kam niemand mehr, um sich über seinen Bauern zu beschweren.

Obwohl er doch ein Nationalsozialist blieb, war mein neuer Landwirt nicht schlecht zu mir. Er beschimpfte mich nicht, beleidigte mich nicht, er behandelte mich wie einen normalen Menschen. Dennoch war die Polizei oft zu Besuch bei mir und durchsuchte meine Quartier.

Nach Abschluss der Feldarbeiten wurde ich am 16. November zur Arbeit in den Wald geschickt. Wegen der bitteren Kälte und des starken Schneefalls war diese Zeit am schwierigsten zu überstehen. Morgens und abends arbeitete ich mit den Pferden, von 9 bis 16 Uhr arbeitete ich im Wald.

Flucht vor der Sowjetarmee

Die Deutschen wurden immer nervöser. Einige waren bedrückt wegen der Lage an den Fronten, andere wiederum waren verärgert und verfluchten die fremden Armeen, die auf ihrem Land kämpften, noch andere meinten, das deutsche Heer würde ihre Heimat verteidigen. Niemand dachte an eine Niederlage im Krieg.

Meine Landwirte begannen Ende April 1945 damit, zwei Wagen für eine lange Reise vorzubereiten. Sie packten Verpflegung für uns und für die Pferde, Kleidung und Bettzeug. Sie montierten Gerüste für eine Plane. Der Pkw‐ und Lkw‐Verkehr auf der Route Landeshut‐Liebau nahm immer mehr zu. Alle fuhren nach Westen. Einige Wagen waren überladen und mussten etwas entladen werden. Es schien etwas Ungewöhnliches stattzufinden, aber wir wussten noch nicht was. Angst griff um sich. Um etwa 10 Uhr rief Emil Klos mich und meinen Freund Tadeusz zu sich. Dann sagte er: „Ihr beide fahrt mit uns. Versucht nicht wegzurennen, ich habe eine Pistole und werde schießen. Seid gehorsam, dann passiert euch nichts“. In dieser Situation mussten wir seinen Bedingungen zustimmen. Ich bat um bessere Schuhe und darum, ein Fahrrad mitnehmen zu können, damit ich etwas habe, worauf ich zurückfahren kann. Tadek wollte das zweite Fahrrad mitnehmen. Unsere Bitten wurden akzeptiert.

Um die Mittagszeit liefen wir Richtung Liebau los. Die ganze Familie Klos, mit den Eltern und Kindern fuhr ab, zusammen mit uns waren das 12 Personen. Als wir durch das Dorf fuhren, standen Leute am Wegesrand und gaben den Klos Wünsche mit auf den Weg. Nachdem wir auf die Hauptstraße gelangt waren, mussten wir auf der rechten Straßenseite, dicht am Straßenrand laufen, denn auf der linken Straßenseite fuhren Militär‐ und Zivilfahrzeuge. Hinter Liebau bogen wir in eine Nebenstraße ein, die weniger befahren war. Wir überquerten die tschechische Grenze und fuhren weiter in südwestlicher Richtung. Am Abend machten wir Rast im Haus irgendeines Landwirtes. Nach dem Abendessen wurden ich und Tadek in einer Scheune eingeschlossen, wir schliefen unter Wolldecken im Heu.

Am nächsten Tag fand die Abfahrt um 9 Uhr statt und wir fuhren bis 16 Uhr durch. Die Tiere waren müde und wir mussten eine Pause einlegen. Am dritten Tag hörten wir hinter uns Schüsse aus schweren Waffen und Bombenexplosionen. Die sowjetische Armee folgte uns nach und es kam zu Gefechten dort, wo die Deutschen Widerstand leisteten. Das Gedränge auf der Hauptstraße wurde immer größer, Zivilisten und das Militär flohen gleichermaßen. In so einer Atmosphäre fuhren wir fünf Tage lang. Am letzten Tag waren wir alle erschöpft und voller Angst. Zum Abend entfernten wir uns etwa zwei Kilometer von der Hauptstraße und machten Halt. Wir hörten die ganze Zeit über Geschützfeuer, und der Lärm kam immer näher. Als wir in eine Scheune schlafen gingen, wussten wir bereits, dass dies die letzten Stunden waren, die für unsere Befreiung entscheidend sein würden. In dieser Nacht war an Schlaf nicht zu denken, denn ganz in unserer Nähe waren Schüsse zu hören. Danach wurde die Intensität der Schüsse immer schwächer. Man konnte vermuten, dass uns die Hauptfront bereits überholt hatte.

Als wir aus der Scheune herausgelassen wurden, sahen wir, dass es ein warmer, sonniger Morgen war. Zusammen mit Tadek ging ich sogleich zur Hauptstraße. Wir sahen Soldaten der Sowjetarmee, die den Fahrzeugverkehr leiteten. Die Straßenmitte entlang fuhren russische Militärwagen, am Straßenrand hingegen liefen Gruppen entwaffneter deutscher Soldaten. Alle gingen in Richtung Westen. Wir sahen sehr lange den jetzt völlig veränderten Soldaten nach. Die Russen waren kampflustig, stolz, selbstbewusst, fuhren in Autos, während die Deutschen traurig, resigniert, am Ende ihrer Kräfte vor sich hin liefen. Eine endlose Kolonne von Truppen beider Seiten zog die Straße entlang.

Rückkehr nach Hause – nach Polen

Auf dem Weg zurück zu unseren Bauern beschlossen wir, sogleich die Heimreise anzutreten. Als wir bei ihnen ankamen, war Emil Klos schon weg. Die Familie war geblieben. Wir erzählten ihnen, wie die Situation unterwegs war, dass wir befreit worden waren und dass wir gleich nach Hause, nach Polen, fahren würden. Wir freuten uns über unsere wiedererrungene Freiheit, darüber, dass wir endlich frei von den Deutschen waren und nach Hause fahren konnten. Unsere Landwirtin dankte uns für die Arbeit auf dem Hof, erwähnte die schwierigen Momente und Unannehmlichkeiten, sagte aber: „Der Krieg ist an allem Schuld“. Nach einem kurzem Gespräch und einem allgemeinen Abschied stiegen wir auf die mitgebrachten Fahrräder und machten uns auf den Heimweg […].