BENON BAKALARSKI
Das Elend der Jugend ist kein Märchen
Der Autor war Sohn eines polnischen Offiziers. Vor dem Krieg wohnte er mit seinen Geschwistern in Warschau. Während einer Razzia wurde er verhaftet und in einem Durchgangslager in der Skaryszewska Straße festgehalten, von wo er zur Zwangsarbeit nach Österreich verschleppt wurde. Zum Zeitpunkt der beschriebenen Ereignisse war er 14 Jahre alt.

[…] In Warschau fanden seit dem Jahr 1940 Razzien statt, d.h. Jagden auf Menschen durch dafür geschulte 91 deutsche Gendarmerie. Die Verhafteten wurden „sortiert“, es wurde ihre Identität geprüft. Personen, die von Deutschen als „gefährliche Elemente” angesehen wurden, schickte man in Konzentrationslager, manche wurden sofort erschossen, und junge, gesunde Männer und Frauen wurden zur Zwangsarbeit nach Deutschland und Österreich verschleppt.

Anfang des Jahres 1942 befand ich mich zufällig in der Targowa Straße im Stadtviertel Praga und geriet in den „Kessel” einer Razzia. Zu Opfern der Jagd wurden einige Hundert Personen, die Meisten davon wurden gleich auf LKWs geladen und abtransportiert. Ich befand mich in einer Gruppe für welche LKWs fehlten, weshalb wir von Gendarmen mit Hunden zu dem nahe gelegenen Wileński Bahnhof getrieben wurden. Wir warteten dort ca. vier Stunden, bis LKWs ankamen und wir zu einer ehemaligen Schule in der Skaryszewska Straße abtransportiert wurden. Ich war von der Situation benommen, war mir aber der Todesgefahr bewusst. Ältere Männer sagten, dass wir Glück hätten, weil man von der Skaryszewska Straße nicht ins Konzentrationslager gehe, sondern zur Zwangsarbeit nach Deutschland geschickt werde.

Der Aufenthalt dort war eine harte und schwierige Lebensschule. Zwei Wochen lang schliefen wir auf Pritschen aus Drahtgitter, wir hatten nichts mehr. Die Verpflegung bestand aus einer Portion Suppe und ein wenig Brot mit künstlichem Honig. So war es jeden Tag, zwei Wochen lang. Versuche meiner Familie mich zu befreien, blieben erfolglos. Es war nicht mal erlaubt, den Verhafteten Verpflegung zukommen zu lassen.

Nach zwei Wochen wurden wir unter Bewachung zur Kawęczyńska Straße geführt, die ca. zwei Kilometer von dem vorherigen Aufenthaltsort entfernt liegt. Dort war das sog. Arbeitsamt, das heißt das Werbebüro zur Sklavenarbeit.

Ich erinnere mich noch ‐ als wäre es heute – an den langen Raum mit den vielen Schaltern, an denen die Namen verschiedener deutscher Städte standen. Ein deutscher Beamter verwies die Leute an die einzelnen Schalter. Durch eine Schicksalsfügung kam eine Dolmetscherin in den Raum und bemerkte den Jungen, der zwar ausgewachsen war, sich jedoch von den erwachsenen Männern deutlich unterschied. Sie versuchte den Deutschen davon zu überzeugen, dass ein vierzehnjähriger Junge zu keiner schweren Arbeit taugen wird. Der Deutsche schrie sie an und befahl, mich zu registrieren. Dann fügte er hinzu, dass ich zumindest Kühe hüten könne. Die Dolmetscherin flüsterte mir noch zu, dass ich zum Schalter mit der Aufschrift „Wien“ gehen solle, was ich sofort tat. An diesem Schalter wurde ich registriert und erhielt einen Transportschein. Nach der Registrierung kehrten wir unter Bewachung zur Skaryszewska Straße zurück. Nach wenigen Tagen begannen Waggontransporte zu den angewiesenen Städten.